Radtour

„Tour de Tortur”

August 1996

Zweiräder haben uns schon immer fasziniert. Als es pekuniär noch nicht für ein Motorrad reichte, galt unsere Liebe dem Fahrrad, genauer dem Mountainbike. Nicht, dass wir steile Berge erklettert oder gar wilde Downhills gefahren währen. Hauptsache wir waren auf dem Rad unterwegs.
Und eines Tages stellten wir uns die Frage: „Warum radeln wir nicht ‚mal nach Kärnten?” Gerlinde war prinzipiell dafür, unter der Voraussetzung, dass wir „uns Zeit lassen”. Ich war der Meinung, dass man das „locker in zwei Tagen” schaffen kann.

Kaum beschlossen, begannen wir mit den Vorbereitungen. Nein, nicht was du jetzt denkst! Wir haben kein wochenlanges Aufbautraining absolviert, wir haben auch nicht unsere Ernährung umgestellt und auch keine Gymnastik gemacht. Wir haben nur genau überlegt was wir wohl alles mitnehmen sollen.
Hier nun eine Aufstellung der „paar” Dinge, die wir glaubten, unbedingt dabei haben zu müssen:

  • 2 Schlafsäcke
  • 2 Iso-Matten + Polster
  • Kochgeschirr + Feldkocher + Brennmaterial
  • Kaffee (größere Mengen)
  • Fertigsuppen und -gerichte
  • Gewand (für 1 Woche), Regenmonturen
  • Isodrinks, Kraftriegel, Verbandszeug
  • Fotoausrüstung, Werkzeug, Pickzeug
  • Reserveschläuche, Sonnenschutz
  • und noch viele andere unentbehrliche Dinge

Letztendlich war es so, dass jeder gut 15 kg Gepäck mit sich schleppte (dabei hatten wir das schwere 3-Mann-Zelt eh schon zu Hause gelassen). Man beachte das Bild, das unser „Bisschen” an Gepäck zeigt:
Das muss mit

Am Freitag, den 16.08.96 sollte es endlich losgehen. In den drei Wochen davor waren wir kein einziges Mal auf den Rädern gesessen (weniger weil wir diese – oder uns – für die Tour schonen wollten, sondern einfach weil das Wetter nicht schön war).

Dann kam der Tag der Wahrheit:
Um 05.30 Uhr quälten wir uns aus den Betten. Gerlinde brauchte unbedingt einen seeeehr starken Kaffee (wie man auf dem Bild unschwer erkennt, war sie voll motiviert – Tschakka).
Als das Gepäck endlich verstaut und befestigt war, wurden wir beide langsam etwas munterer.

Völlig wach wurden wir, als wir in den Hof kamen und die morgendliche Frische spürten. Schnell ein zittriges Foto und los ging’s, denn „beim Fahren wird uns schon warm werden”.

Ehe es losging
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Gemütlich fuhren wir quer durch das morgendliche Wien. Dieser Tag war ein Fenstertag, so dass Wien wie ausgestorben war. Was uns nicht störte.

Das erste Mal ans Umkehren dachten wir, als es die Steigung der Prinz-Eugen-Straße zum Südbahnhof hinauf ging. Ich wartete schon einige Minuten, da kam dann Gerlinde angestrampelt. Blass wie ein Leichentuch, keuchende Atemstöße, Schweißperlen auf der Stirn.

Ich rechnete damit, dass sie jeden Moment vom Rad fallen würde. Die Frage nach dem Umkehren verneinte sie aber mit Nachdruck – der Ehrgeiz ist halt ein Hund. Also legten wir nur eine kurze Verschnaufpause ein.

Zwischenzeitlich war die Sonne aufgegangen – endlich! Die Windbreaker wurden verstaut und hurtig ging es die „17er” Richtung SCS. Leider blies uns ein ziemlich heftiger Wind entgegen. An der Stadtgrenze schossen wir ein paar Fotos…

Stadtgrenze
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… und genossen die erste Zigarette des Tages (soweit das mit brennenden und stechenden Lungen halt möglich war).Wir schwangen uns wieder in den Sattel (verdammt, ich konnte mich gar nicht erinnern, dass dieser so hart war). Der Wind hatte noch eine Spur zugelegt, was uns sicher nicht gestört hätte, wenn er a tergo gekommen wäre. Aber da wir das nicht ändern konnten, haben wir uns damit abgefunden und strampelten brav weiter Richtung Semmering.In Wr. Neudorf spürte ich dann das erste Knirschen im rechten Knie. Das habe ich anfangs nicht weiter beachtet. Als wir dann an einer Ampel anfuhren und ich das Bein beim Antritt voll belastete war der Schmerz dann aber nicht mehr zu übergehen.

Verdammt, da hat man kaum 30 km geschafft und schon kommen die ersten Wehwehchen. Nützt alles nix, Zähne zusammenbeißen und weiter. Durch Guntramsdorf und Traiskirchen, vorbei an Felixdorf nach Wr. Neustadt. Hier folgte eine etwas längere Pause und ein schneller Einkauf beim Billa. Gekauft wurden Bananen (wir hatten zwar Verpflegung für gut 2 Wochen mit, aber eben kein frisches Obst).

Nach der Pause merkte dann auch Gerlinde, dass mit mir etwas nicht in Ordnung war. Beim Aufstehen zuckte ich wegen einem Stechen im Knie zusammen. So ein Knorpelschaden kann schon ganz ordentlich schmerzen. Auf ihre besorgte Anfrage meinte ich nur, dass es schon gehen wird. Also, rauf aufs Rad und weiter.Es folgte die wohl tödlichste Etappe der Tour – die Neunkirchner Allee. Eine unendliche Gerade. Bei starkem Gegenwind strampelten wir dahin, den Blick stur vor uns auf den Boden gerichtet. Nach einer kleinen Ewigkeit blickte ich auf. Verdammt, Neunkirchen lag immer noch irgendwo in der dunstigen Ferne und schien keinen Meter nähergerückt.

Aber irgendwann hatte wir auch dieses Stück geschafft. Bei der folgenden kurzen Rast habe ich mein Knie bandagiert, da die Schmerzen immer ärger wurden. Von Ternitz ging es weiter nach Gloggnitz und dann durch Schottwien. Hier traf uns der moralische Hammer. Als wir so von unten auf die hoch über uns führende S6 blickten, überkam uns kurz die Verzweiflung: „Was, da müssen wir rauf?” Nicht nur das, denn es geht dann ja noch ein Stück weiter den Berg hoch.

Es half aber alles nichts, was sein musste, musste eben sein.Irgendwie schafften wir den Anstieg über Maria Schutz bis zu der Stelle, wo die S6 endet und sich die beiden Straßen treffen (am Beginn des Anstieges der letzten großen Kehre). Hier meinte Gerlinde dann, dass sie die Abkürzung über die Wiese nehmen will. Als ich mir die Steilheit der Wiese und deren hohen Grasbewuchs ansah, musste ich einmal schlucken. „Da können wir nicht rauf, das ist privat”, fiel mir nur ein. „Ich gehe da rauf, egal was ist”, meinte Gerlinde. „Na ja, aber wenn da oben ein Zaun ist, was dann? Oder wenn die einen scharfen Hund haben? Willst Du das riskieren?

Es half alles nichts, Gerlinde wollte da rauf – und wer war ich, dass ich da lange widersprechen konnte?
Wir kämpften uns also den steilen Hang hoch, das Gewicht des Gepäcks zog nach unten, das brusthohe Gras verfing sich in der Kette und dem Schaltwerk, der Atem ging stoßweise, das Blut rauschte in den Ohren, mein Knie knirschte wie eine morsche Eiche bei Windstärke 10. – Und plötzlich waren wir oben! Kein Zaun, kein Hund – nur Erleichterung. Und als ich dann sah, dass wir durch diesen Abschneider fast 1,5 km gespart hatten, vergaß ich die Strapazen auch gleich wieder.

Abkürzung
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Manchmal sind die Ideen meiner Holden gar nicht so schlecht (ich hätte da schon öfter drauf hören sollen – aber das ist eine andere Geschichte). Wir gönnten uns einen kurzen Verschnaufer, ehe wir das letzte Stück rauf auf den Semmering angingen. Durch die Anstrengung rann der Schweiß in Strömen. Leider blies immer noch ein recht heftiger Wind. Und zu allem Überfluss bewahrheitete sich auch noch die alte Wiener Volksweisheit: „Am Semmering regnet’s immer!

Ein kalter Nieselregen setzte ein, es herrschten Temperaturen um die 6° C.
Aber dann waren wir oben. Mit klammen Fingern haben wir die Räder abgestellt und versperrt. Dann nichts wie rein in das erstbeste Gasthaus und einen heißen Tee bestellt. Selten schmeckte mir ein Getränk so gut wie dieses. Und in die Finger kam langsam wieder etwas Gefühl. Fast eine halbe Stunde machten wir Pause. Und bevor wir uns wieder auf den Weg machten, bandagierte ich mein Knie neu. Als ich dann aufstehen wollte, hörte ich die Engel singen – und die Knorpel knirschen. Langsam, gaaanz laangsam konnte ich aufstehen und mein Knie abbiegen. Irgendwie kam ich aufs Rad, klickte mich ein und wir fuhren weiter. Jetzt kam das beste Stück, der Semmering-Downhill:

Mit vollem Karacho lies ich mich den Berg hinunter. Endlich war das viele Gepäck ein Vorteil. Ich beschleunigte wie eine Rakete, der Wind pfiff in meinen Ohren, die Kurven zoomten im Zeitraffer auf mich zu – geil. Irgendwie hörte ich durch das Tosen des Windes Geräusche, die sich als das Geschrei meiner Frau herauskristalliesierten. Ich bremste mich ein und kam an der Eisenbahnunterführung zum Stillstand. Es waren keine drei Minuten vergangen, seit wir oben gestartet waren. Mein Sigma 700 zeigte einen Spitzenwert von 92,8 km/h!

Gerlinde kam, weiterhin rufend angefahren und hielt neben mir an. Was sie mir so verzweifelt sagen wollte: ich hatte keinen Helm auf!
Oh verdammte Schei*e! Den hatte ich doch glatt im Lokal liegen lassen. Und das mir, der ich doch immer mit Helm fahre (im Gegensatz von Gerlinde).

Also, ich radl da jetzt nicht mehr rauf,” meinte sie nur. „Ich aber sicher auch nicht”, dachte ich so bei mir. Also was tun?„Du bleibst bei den Rädern und wartest hier”, sagte ich. Dann sprang ich vor das erste Auto das bergauf unterwegs war. Ein großer Geländewagen, dessen Fahrer gnädigerweise gleich anhielt anstatt mich unter die Räder zu nehmen (außer einem kleinen Rumpler hätte er da nicht viel gemerkt). Kurz die Situation erklärt und es ging nach oben. Bei der Fahrt den Berg hinauf merkte ich erst, wie weit wir in dieser kurzen Zeit schon gefahren waren. Das waren ja gute vier Kilometer gewesen. Oben angekommen schnell bedankt, bei dedr nächsten Gelegenheit über die Straße und ins Lokal gehuscht, den Helm geschnappt und wieder raus. Daumen hoch – und gleich das erste Auto blieb stehen – und schon war ich wieder beim Monsterl. Machen wir die Geschichte kurz – wie auch die restliche Tour:

Bis etwa Bruck/Mur wollten wir an diesem Tag fahren. Das haben wir nicht ganz geschafft. Mein Knie schmerzte immer mehr. So schlug ich vor, schon früher einen Platz zum Übernachten zu suchen. Da meinte Gerlinde: „Wirst du morgen fahren können? Denn ich sage dir gleich, wenn wir heute in der Wildnis schlafen und du kannst morgen nicht weiterfahren, dann …
Ich konnte natürlich nicht wissen, wie es mir am nächsten Tag gehen wird. Aber ich wusste, dass für diesen Tag Sense war und ich nicht mehr weiter konnte. Nach einer kurzen Diskussion beschlossen wir daher, die Tour abzubrechen und per Bahn zurück nach Wien zu fahren.

Also auf zum nächsten Bahnhof. Schon nach etwa 10 Minuten kam ein Zug der uns und unsere Räder im Gepäckwagen zurück nach Wien beförderte. Um etwa 21.30 Uhr waren wir wieder zu Hause. Kurz unter die Dusche und ab ins Bett.

Am nächsten Tag spürten wir beide – wider Erwarten – nicht einmal den kleinsten Muskelkater. Nur als ich mein Knie sah, war ich froh dass wir umgekehrt waren. Denn dieses war fast auf das Doppelte angeschwollen. Noch fast zwei Wochen lang hatte ich auch starke Schmerzen.

Aber alles in allem war es trotzdem eine tolle Sache und auch keine schlechte Leistung gewesen, da wir an diesem Tag insgesamt über 150 km geschafft hatten.

Ach ja, Gerlinde will unbedingt auch einmal von Passau nach Wien radeln. Na ja, mal sehen, das überleg ich mir noch.